GESCHICHTE - Schauspiel

Die Anfänge

Andrej Bagar

Auf Slowakisch wurde bereits im Jahre 1831 gespielt und das Theater spielte eine wichtige Rolle in der Nationalbelebung. Die Professionalisierung des slowakischen Schauspiels erfolgte aber erst nach der Gründung des Slowakischen Nationaltheaters, und das nicht gleich. Das erste Ensemble des Schauspiels des SND wurde aus den Mitgliedern des Osttschechischen Theaters zusammengestellt. Es waren also tschechische Schauspieler, und die spielten auch in Bratislava vor allem auf Tschechisch (die erste Premiere des Schauspiels des SND war Mariša der Brüder Mrštík im März 1920, auf Slowakisch wurden die Einakter Die Sünde und Im Dienst Jozef Gregor Tajovskýs in Mai 1920 aufgeführt). Im Jahre 1921 treten dem Ensemble die ersten slowakischen Schauspieler bei (Andrej Bagar, Ján Borodáč, Olga Országhová-Borodáčová, Jozef Kello, Gašpar Arbet, später Hana Meličková) und mit der Ankunft des ersten slowakischen professionellen Regisseuren Ján Borodáč steigt auch die Anzahl slowakischer Premieren.

 

Die Aufteilung des Schauspielensembles des Slowakischen Nationaltheaters

Im Jahre 1932 wurde das Schauspielensemble in zwei Gruppen aufgeteilt – die tschechische (unter der Leitung des Regisseurs Viktor Šulc) und die slowakische (geführt von Ján Borodáč). Das kreative Dialog der beiden Ensembles (und Regisseure) hatte eine positive Auswirkung an die  Entwicklung des Theaterschaffens bei. Borodáčs kritisch-realistische Handschrift bekam um die Mitte der 1930ern eine gesunde und gewünschte Opposition mit der Ankunft des Regisseurs Jan Jamnický, eines Avantgarde-Künstlers, der von europäischen Theaterpersönlichkeiten beeinflusst wurde (Ochlopkow, Tairow, Meyerhold, E. F. Burian). Jamnický verstand das Theater als eine innerlich reiche Synthese mehrerer Kunstgattungen. In derselben Zeit erscheint im SND eine neue Generation junger Schauspieler, Absolventen der Akademie für Musik und Darstellende Kunst in Bratislava. Das Ensemble professionalisiert sich auf eine bedeutende Weise. 

Der Zweite Weltkrieg

Život Galileiho

In den veränderten politischen Umständen der Jahre 1938 – 39, nach dem Münchner Abkommen und dem Zerfall der Tschechoslowakei wird das tschechische Schauspiel des Slowakischen Nationaltheaters aufgelöst. Die Mehrheit der tschechischen Schauspieler verlässt die Slowakei (der Schauspieler und Regisseur Jozef Budský bleibt). Es kommt eine neue Generation von jungen Schauspielern, die in  den nächsten Jahrzehnten die Stütze des Ensembles sind (M. Huba, F. Dibarbora, K. L. Zachar, V. Záborský, F. Zvarík, L. Chudík, J. Pántik). Eine Anzahl an Regisseuren und Dramaturgen trifft ein und das slowakische dramatische Schaffen entwickelt sich  (I. Stodola, J. Barč-Ivan, P. Zvon, M. Rázusová-Martáková). Während des Bestehens der Slowakischen Republik (1939 – 1945) polarisiert sich nicht nur die ästhetische sondern auch die ideologische Orientierung des Theaters. Auf der einen Seite steht der traditionalistische, konservative Ján Borodáč, und auf der anderen Seite sind es die experimentierenden, offen kritischen und demokratisch denkenden Ján Jamnický und Jozef Budský. Das Schauspiel des SND wird zum Brutplatz der künstlerischen und politischen Konfrontation, die in dem offenen antifaschistischen Slowakischen Nationalaufstand kulminierte (1944).

Die Nachkriegsära

Nach dem Krieg und der Wiedererrichtung der Tschechoslowakei erfolgt im Slowakischen Nationaltheater ein Generationswechsel. Den künstlerischen Profil prägen vor allem Regisseure Jozef Budský, Tibor Rakovský, Karol L. Zachar, es tauchen neue Autoren (Š. Králik, P. Karvaš, L. Lahola) und Schauspieler auf (M. Prechovská, G. Valach, M. Kráľovičová, C. Filčík, K. Machata, E. Kristínová). Es kehren auch Schauspieler zurück, die wegen politischer oder Rassenverfolgung in der vergangenen Periode nicht auftreten durften (A. Bagar, M. Gregor, H. Meličková, R. Porubská). Die Bemühungen um ein synthetisches DIchtungstheater kulminieren in mehreren eindrucksvollen Poesie-Inszenierungen, die großen Beifall beim Publikum fanden. Nach dem kommunistischen Umsturz im Jahre 1948 wird diese neue ästhetische Orientierung gewaltsam unterbrochen; es treten die Ära der einzigen richtigen Ideologie des Marxismus-Leninismus und der sog. sozialistische Realismus an. 

Bereits im Jahre 1956, mit der ersten leichten Lockerung der politischen Umstände kommt es im Schauspeil des SND zu erneuten Versuchen eines unabhängigen Schaffens. Der kreative Dialog der Regisseure Budský, Rakovský und Zachar prägt die zweite Hälfte der 1950ern und die 1960er. Das Schaffen Budskýs ist vor allem durch die Anwendung der Metapher (Shakespeare: Romeo und Julia, Čapek: Die weiße Krankheit, Tschechow: Iwanow, Der Kirschgarten) charakterisiert,  Rakovskýs dagegen durch ihre rationell analytische Methode (Brecht: Das Leben des Galileo, A. Miller: Blick von der Brücke, Karvaš: Die Mitternachtsmesse, Shakespeare: Hamlet) und Zachars harmonisierende visuelle Stilisierung und Verspieltheit (Shakespeare: Die lustigen Weiber von Windsor, Der Sommernachtstraum, Goldoni: Der Fächer, Rostand: Cyrano de Bergerac, Palárik: Das Abenteuer beim Erntefest, Bryll: Auf Glas gemalt). In den 1950ern und 1960ern treten dem Schauspiel mehrere bedeutende Schauspieler bei: Z. Gruberová, E. Romančík, J. Króner, B. Turzonovová, E. Vášáryová, J. Slezáček, E. Poláková, I. Mistrík, Š. Kvietik, I. Rajniak, M. Dočolomanský). In der Mitte der 1960er setzten sich die  jungen Regisseure Peter Mikulík und Pavol Haspra durch. Mikulík mit einem ausgeprägten Sinn für Ironie, Paradox und Groteske (Mrozek: Der Truthahn, Das Tango, Vitrac: Victor, Pirandello: Heinrich IV., Preses-Becher: Bockerer), Haspra mit einer deutlich emotiveren und expressiveren Handschrift (Miller: Nach dem Fall, Die Hexen von Salem, Albee: Wer hat Angst vor Virginia Woolf?, Williams: Orpheus steigt herab).

Das Schauspiel ab den 1970ern

Richard III.

Zu Ende des 1970ern werden die Regisseure Miloš Pietor und  Ľubomír Vajdička engagiert, die mit ihrer unkonventionellen und entromantisierten Darbietung der klassischen slowakischen Theaterstücke bestechen. Pietor regiert  bis zu seinem Tod im Jahre 1991 eine Reihe von Shakespeare-Inszenierungen (Richard II., Heinrich IV., Richard III.). Beide Regisseure beeinflussten sehr deutlich auch das schauspielerische Schaffen des Ensembles – mit dem Betonung des Details, und ihrer Fähigkeit, die Vielseitigkeit einer dramatischen Gestalt zum Ausdruck zu bringen, die nichttraditionelle Motivation ihres Handelns zu entziffern, und die Spannung zwischen dem Komischen und dem Tragischen, dem Banalen und Erhabenen  zu nützen. Seit der Hälfte der 1980ern entwickelt auch Vladimír Strnisko diese Prinzipien (Mrštíks: Mariša, Barč-Ivan: Die Zwei, Erdman: Der Selbstmörder, Sartre: Geschlossene Gesellschaft, Cannetti: die Hochzeit). Dem Ensemble treten bedeutende Schauspieler der jungen und mittleren Generation bei (Anna Javorková, Martin Huba, Juraj Kukura, Pavol Mikulík, Emil Horváth, Dušan Jamrich, Milan Knažko, Dušan Tarageľ, Zdena Studenková, Kamila Magálová, Maroš Kramár, Stano Dančiak, Marián Labuda, Ingrid Timková, Richard Stanke, Diana Mórová). 

Trotz ihres Statuts einer angesehen Institution bemüht sich das Slowakische Nationaltheater, nicht ein „Steintheater“ zu sein. Nach dem Fall des kommunistischen Regimes im November 1989, bei dem die Mitglieder des Slowakischen Nationaltheaters eine nicht geringe Rolle spielten, wirkt das Theater seit 1993 in der demokratischen Slowakischen Republik. Die künstlerische Tradition und das hohe Niveau der Ensembles, die Ambitionen der Künstler und die offene Dramaturgie, die nicht von Zensur eingegrenzt wird, die Fähigkeit, die Vergangenheit und die Gegenwart dieses neuralgischen Punktes Europas zu reflektieren, das alles ist ein Beweis dafür, dass in einer Zeit, in der viele scheinbare Sicherheiten erschüttert werden, das Slowakische Nationaltheater sein Gesicht, sein Niveau und seine moralische Integrität bewährt. In der Zeit einer autoritären Herrschaft (1994 – 1998) stellte sich vor allem das Schauspiel des SND sehr entschlossen gegen die Machtpraktiken des Kultusministeriums und mit Streiks in den Jahren 1996 – 1997 konnte es ihre autonome Stellung verteidigen. 

In den letzten zehn Jahren ermöglicht das SND auf eine systematische Weise Gastauftritte junger Regiepersönlichkeiten (Gombár, Lančarič, Čičvák, Lavrík, Spišák). Gleichermaßen bemüht es sich, neue schauspielerische Talente zu entdecken und somit allmählich Platz für eine völlig neue Generation von Künstlern zu schaffen (Fialová, Hilmerová, Maštalír, Igona, Kostelný, Kovaľ, Kuxová, Marošová, Koleník, Kobielsky). Die Dramaturgie richtet sich viel stärker an gegenwärtiges internationales (Harrower, Schimmelpffenig, Glowacki, McDonagh, Krimp) und heimisches Drama (Olekšák, Klimáček, Maliti-Fraňová, Uličiansky) aus. Die Bemühung des Theaters, sich in allen Sphären der Welt zu eröffnen, führte zu mehreren Gastauftritten international anerkannter Regisseure, unter anderen Enikö Eszényi (Ungarn), Partice Kerbrat (Frankreich), J. A. Pitínský und Vladimír Morávek (Tschechische Republik). Im Jahre 2003 verstarb der Regisseur Pavol Haspra, der jahrzehntelang ein  Mitglied des SND war. 

Im Jahre 2000 wurde das Schauspiel des SND zum Mitglied der renommierten Europäischen Theaterkonvention ETC, in der 36 Theater aus ganz Europa vereinigt sind. Durch die  Mitgliedschaft in diesem Netzwerk wurde das  Schauspiel des SND ein Bestandteil von Theaterleben Europas und nimmt an zahlreichen Projekten und Aktivitäten teil, die die ETC organisiert. Im Juni 2002 hatte das Schauspiel des SND die Ehre, das ETC Festival EUROTHALIA zu organisieren, das jede zwei Jahre in einem anderen europäischen Theater ausgetragen wird, als erstes Theater im ehemaligen Ostblock überhaupt. Im Jahre 2004, im Rahmen des Drei-Jahre-Programmes ETC-Refugges nahm das Schauspiel des SND an großen europäischen Produktionen (Learning Europe, Fahim) teil. In den letzten Jahren gastiert das Schauspiel regelmäßig bei Festivals (Torun, Český Těšín, Zlín, Nitra) und Ausstellungen (Prag, Budapest, Warschau) wo es mehrere Auszeichnungen gewann. 

Zur Zeit führt das Schauspiel des SND 8 Premieren im Jahr auf (2 - 3 Sála činohry v novej budove SND, 4 Štúdio v novej budove SND, 1 v historickej budove SND). Im Durchschnitt sind besteht das Repertoire aus 30 Aufführungen (jeweils 15 auf beiden Bühnen) und mit 430 Vorstellungen im Jahr.