Gertrude Stein zählt zweifellos zu den beeindruckendsten, zugleich jedoch zu verhältnismäßig kontroversen Frauenfiguren des 20. Jahrhunderts. Trotz der Tatsache, dass sie die Förderin, Propagatorin und Mäzenin von Männern wie Pablo Picasso, Georges Braque, Ernest Hemingway, Henri Matisse, Francis Scott Fitzgerald und anderen war, blieben nicht nur in unserem Kontext ihre Persönlichkeit sowie ihr Vermächtnis mehr oder weniger vergessen. Liegt es daran, dass man langfristig Frauen und insbesondere die in der Kunst übersieht? Oder liegt es daran, dass sie in einer lesbischen Beziehung mit ihrer Lebensgefährtin Alice B. Toklas lebte? Grund dafür wird wohl keine dieser beiden Tatsachen sein. Womöglich spielte eher die Tatsache eine Rolle, dass sie als Jüdin, im von Deutschen besetzten Frankreich ihren Lebensstil der Kunstsammlerin aufrechterhalten konnte, und dass sie sich ihre physische Sicherheit nur Dank eines einflussreichen Beamten der Vichy-Regierung und des nazistischen Kollaborateurs Bernard Faÿ sichern konnte. So oder so, eine wahre Antwort auf diese Frage wird man nie erfahren. Unsere Inszenierung setzt sich nicht zum Ziel zu werten oder zu richten, sondern eher Mikrodetails und Motivationen im Leben der amerikanischen Jüdin mit deutschen Wurzeln und bilingualer Erziehung zu erforschen, die auf Umwegen auf den Alten Kontinent zurückkehrte. Wonach sehnte sich die avantgardistische Dichterin, Dramatikerin, Librettistin, Übersetzerin und Romanautorin, die vom Kubismus inspiriert war, eine der herausragendsten literarischen Experimentatorinnen und insbesondere eine Frau, die vielen Männern dazu verhalf groß zu werden? Vielleicht haben wir alle letztendlich mehr mit ihr gemeinsam als wir denken. Auch sie war nur ein Mensch. Aus Fleisch und Blut. Bei dem Autorenstück aus der Feder von Tereza Trusinová, bei der das Schauspiel des SND bereits zum zweiten Mal einen Text bestellte, führt die sich etablierende Regisseurin, Vertreterin der mittleren Generation, die bis jetzt insbesondere im Theater Divadlo Na Peróne tätig war, Jana Wernerová Regie.

 

 

Premiere am 29. März, 2025