Auf dem Gebiet der heutigen Slowakei wird Oper bereits seit dreihundert Jahren gespeilt. Das gilt vor allem für Bratislava (früher Preßburg), wo ungefähr drei Jahrhunderte lang die ungarischen Könige und Königinnen gekrönt wurden, und die sich selbst als „Vorort“ der kaiserlichen Metropole sah. So schauten italienische Operntruppen oftmals in Preßburg vorbei. Später, zu Zeiten der Maria Teresia, baute der loyale Adel prunkhafte Paläste in der Stadt, in den regelmäßig Musik gespielt wurde, und somit auch Opern. Die private Operntruppe des Grafen Johann Nepomuk Erdödy führte in den Jahren 1785 – 88 mehrere Duzend Produktionen von Spätbarock bis zu Klassizismus, opera seria, buffas und Singspiele auf. Sie spielten Gluck, Haydn, von Dittersdorf, Schenk, Mozart, Anfossi, Sarti, Guglielmi sr, Piccini, Paisiello, Gazzaniga, Cimarosa, Salieri, Grétry, Benda, Martin y Soler. Viele von ihnen in ihrer ersten deutschen Übersetzung – von Dittersdorfs Stücke Doktor und Apotheker, Betrug durch Aberglauben, Liebe im Narrenhaus, Democrito corretto, Paisiellos Re Teodoro di Venezia, Salieris Grotta di Trifonio, Storaces Equivoci nur einige Wochen nach ihrer Uraufführung in Wien.
Um die gleiche Zeit erbaut sich die auferstehende Bürgerschaft mit Unterstützung von Graf Czáky das erste Steintheater (1776) ungefähr auf dem Ort, auf dem heute das historische Gebäude des Slowakischen Nationaltheaters steht. Im 19. Jahrhundert verliert die Stadt an Bedeutung. Das Stadttheater wird von deutschen und später auch ungarischen Truppen vermietet. Das Statut einer Provinzstadt verhindert jedoch keinesfalls dramaturgische Offenheit und Romantik setzt sich bald durch. Nur ein Jahr nach seiner Pariser Uraufführung wird Boeildieus Jean de Paris und vier Jahre nach ihrer Pariser bzw. Berliner Uraufführung Webers Der Freischütz aufgeführt. Heinrich Marschner, der zu dieser Zeit in Preßburg als Musiklehrer wirkte, führt hier sein erstes Stück Kyffhäuserberg in Weltpremiere auf (1816). In den 1830ern erscheint auf den Plakaten italienisches bel canto (Rossinis Semiramide und Otello, Donizettis Lucrezia Borgia, Bellinis Normaund I Puritani). Zur selben Zeit, als Boito und Faccio in Italien Wagner präsentieren, werden in Preßburg zum ersten Mal Lohengrin und Tannhäuser gespielt.
Das Ende des 19. Jahrhunderts
Im Jahre 1886 eröffnet das neue Gebäude des Stadttheaters, das im Neurenaissance-Stil von dem Wiener Unternehmen der Theaterarchitekten Helmer und Fellner erbaut wurde, mit Erkels Bánk Bán, gespielt von Ensemble des Nationaltheaters aus Budapest. Im neuen Gebäude setzt sich bald Verismus durch, im letzten Jahr des Jahrhunderts sammelt hier Bruno Walter als Korrepetitor Erfahrungen, zu Beginn des neuen Jahrhunderts zeigt hier das Opernensemble aus Brünn einen Querschnitt der tschechischen Klassik und zum ersten Mal in Preßburg auch Tschaikowskis EugenOnegin und Pique Dame.
Zu Beginn des 20. Jahrhunderts
Im Jahre 1919 wird Preßburg zum Teil der Tschechoslowakischen Republik. In 1920 wird das Gebäude des Stadttheaters zum Sitz des professionellen Slowakischen Nationaltheaters, das neben Schauspiel auch ein Opernensemble hat. Es beginnt seine Tätigkeit am 1. März 1920 mit der Erstaufführung von Smetanas Der Kuss.
In der Zwischenkriegszeit wird das Opernensemble des Slowakischen Nationaltheaters am stärksten von zwei Nedbals geprägt: dem im mitteleuropäischen Kontext anerkannten Symphoniedirigenten, Komponisten von Ballettstücken und der Operette Das polnische Blut Oskar Nedbal (1923 – 1930) und seinen Neffen Karel (1928 – 38). Mit Smetanas Verkaufter Braut und Dvořáks Undinegastierte Oskar Nedbal in 1924 in Barcelonas Teatro Liceo und Madrids Teatro Real. Er engagierte den ersten slowakischen professionell geschulten Sänger, den Tenor Janko Blaho (1924), und als Autor der Revision der Partitur und Dirigent speilte er eine bedeutende Rolle bei der Uraufführung der Oper des slowakischen Komponisten Ján Levoslav Bella – des neuromantischen Werkes Wieland der Schmied (1926, das Werk entstand in den 1880ern).
In den dreißiger Jahren, unter Karel Nedbal auf dem Posten des Intendanten, wurde die Oper zum Vorreiter auf der tschechoslowakischen Opernszene, die nicht nur aus tschechischen sondern auch deutschen Ensembles auf dem Sudeten-Gebiet und dem Neuen Deutschen Theater in Prag bestand. Bei der Premiere der zweiten ausländischen Einstudierung von Schostakowitschs Lady Macbeth von Mzensk in November 1935 war mitteleuropäische Opernkritik anwesend und die Vorstellung wurde live von dem französischen Rundfunk übertragen. Weitere Höhepunkte Nedbals moderner Dramaturgie waren die Aufführungen von Ferrouds, Blochs, Semlinskis Opern, der tschechischen Moderne, und vor allem Prokofjews Liebe zu drei Orangen (1931) und Roccos Dibbuk (1937) in tschechoslowakischer Erstaufführung.
Das klassische Repertoire wurde in seiner gesamten Breite aufgeführt: die tschechische Klassik (die slowakische Oper bestand nur noch aus unfertigen Versuchen), das Zyklus der fünf berühmtesten Stücken Mozarts, Glucks Orpheus, Beethovens Fidelio, französische grand opéra, opéra comique und opéra lyrique (Carmen mit Originaldialogen in Prosa), Rossinis Wilhelm Tell, Verdis Simon Boccanegra, Don Carlos, Othello, Falstaff, Wagners Rheingold, Tristan und Isolde, Parsifal – die letzteren zwei mit Gunnar Graarud und Josef Kalenberg aus Bayreuth, natürlich Boris Godunow, die ersten vier großen Opern von Richard Strauss und Janáček. Korsakows Der goldene Hahn und Mussorgskis Der Jahrmarkt von Sorotschinski in Tscherepnins Instrumentierung wurden in tschechoslowakischen Erstaufführungen gezeigt.
Von besonderer Bedeutung waren Inszenierungen unter Regie von Viktor Šulc, einen Vertreter der tschechischen Avantgarde der Zwischenkriegszeit und mit Bühnenbild von František Tröster, dem Gründer des modernen tschechischen Bühnendesigns. Šulc kreierte modernes gesellschaftlich gezieltes metaphorisches und dynamisches Operntheater. Oper sah er als das höchste Niveau der Theatersynthese, was nicht nur seine Worte, sondern auch seine Inszenierungen beweisen. Er arbeitete in einem einfachen Raum, mit Andeutungen, Symbolik, und verstärkte die Aussagekraft seiner Inszenierungen mit Licht und Projektion als äußerst dramatischen Elementen. Romantische Geschichten (Hoffmanns Erzählungen, Faust) befreite er von Zeitrequisiten, er entdeckte die verborgenen Beziehungen zwischen dem Werk und der Gegenwart (antitotalitäre Aufführung von Fidelio aus dem Jahre 1936).
Die 1930er
In den 1930ern trat die Oper aus Bratislava regelmäßig auf Wiener Bühnen auf, und umgekehrt, die damals besonders fortschrittliche Volksoper gastierte oftmals in Bratislava. Auf der Bühne der Oper des SND traten regelmäßig bedeutende Solisten auf. Für eine der Wiener Primadonnen Maria Németh und die junge Jarmila Novotnáwar die Oper des SND praktisch ihre Heimbühne. Gerhard, Achsel-Clemens, Kern, Flesch, Anday, Oczewska, Slezák, Pataky, Tauber, Piccaver, Mazaroff, Dermota, Jerger, Svéd, Norbert und andere Solisten aus dem Theater am Ring gastierten hier zu großem Publikumsbeifall. Im Jahre 1931 trat das einzige Mal in Bratislava die gebürtige Preschauerin (Ostslowakei) die größte Strauss-Darstellerin Rose Pauly als Martha in d´Alberts Tiefland. Legendär ist der Auftritt von Fjodor Schaljapin (Mefisto, 1934) und die hiesigen Zuschauer bewunderten auch Ema Destinová obwohl schon zu Ende ihrer Karriere, den ersten Darsteller von Puccinis Calafo Miquel Fleta als auch die aufsteigende Verdi Primadonna Zinka Kunz-Milanow (Leonora in Il trovatore1936 und 1937). Schon zu Ende der 1920ern dirigierten Mascagni (Cavalleria rusticana), Kienzl (Evangelimann) und Richard Strauss (Elektra, Der Rosenkavalier) seine Werke in Bratislava.
Während des zweiten Weltkriegs musste das Ensemble ohne ihre tschechischen Stützmitglieder auskommen. Zu den führenden Erscheinungen des vorherigen Jahrzehntes (Sopranistin Helena Bartošová, Bass Arnold Flögl und Tenor Janko Blaho) kommt eine Anzahl neuer, vor allem slowakischen Solisten (Margita Česány, Zita Frešová, Mária Hubová und andere). Auf den freigewordenen Posten etablierte sich eine neue Generation überwiegend slowakischer Solisten und Dirigenten. Das junge und wenig erfahrene Ensemble unter der Leitung des Dirigenten Josef Vincourek und des Dramaturgen und Tenors zugleich Štefan Hoza traute sich auch auf Mussorgskis Chowantschina und als eine der ersten ausländischen Bühnen führte es Egks Peer Gynt auf, dessen Vorstellung der Komponist selber dirigierte (1941).
Die Nachkriegszeit
Die ersten Nachkriegsjahre wurden von Experimenten auf dem Feld der Bühnengestalt und modernes Bühnenbilds geprägt (Regisseur Karel Jernek) und vor allem von der Erwartung eines Nationalstücks. Dieser Traum wird endlich am 10. Dezember 1949 mit der Uraufführung der Oper Krútňava (Katrina) des Komponisten Eugen Suchoň (1908 – 1993) verwirklicht. Kurz darauf geht die Aufführung auf Tournee von über dreißig europäischen Theater und wird in zahlreichen Einstudierungen an sämtlichen Opernbühnen der damaligen Tschechoslowakei aufgeführt.
Die ersten zwei Jahrzehnte des kommunistischen Regimes zeichnen sich durch einen Aufschwung in heimischer Opernproduktion aus, wobei die Mehrheit dieser Stücke im Slowakischen Nationaltheater uraufgeführt wird: Suchoňs historisches Drama Svätopluk, die ersten Opern von Ján Zikker Juro Jánošík und Beg Bajazid, Peter und Lucia von Miro Bázlik und Juraj Benešs Opern wie z. B. Des Kaisers neue Kleider, an die der Autor in den 1980ern mit seiner Oper Das Festmahl anknüpft.
Nach dem Abebben der Welle des sozialistischen Realismus kommt auch internationale Oper des 20. Jahrhunderts zum Wort. In 1958 wird zum ersten Mal in der Slowakei Pelléas und Mélisanda aufgeführt, es folgen Stücke von Britten, Dessau, Egk, Hindemith, Martinu, Menotti, Orff, Prokofjew, Ravel und in den 1970ern auch Bartók und Gershwin. Zwei führende Stücke des Musiktheaters des 20. Jahrhunderts werden in den 1980ern aufgeführt: Strawinskis The Rake´s Progress(1982) und Bergs Wozzeck (1986).
Ab der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts wird das künstlerische Potential des Ensembles endgültig professionalisiert – neben Absolventen von Konservatorien sind es auch Alumni der Musikhochschulen (Akademie für Musik und Darstellende Künste) – Dirigenten, Regisseure, Choreographen, Chormeister, Solisten. Zum Aufschwung in der heimischen Opernproduktion und die Aufführungen von bedeutenden Werken des 20. Jahrhunderts trugen auf bedeutende Weise zwei Persönlichkeiten zu: der Tenor Dr. Gustav Papp und der Baryton Juraj Martvoň. Elena Kittnarová brilliert in der Rolle der Marta (Janáček: Die Sache Makropulos) und Ondrej Malachovský setzt neue Maßstäbe in den Vorzeigerollen der slowakischen Opernliteratur – Suchoňs Stelina (Krútňava) und Svätopluk in der gleichnamigen Oper.
Von 1968 bis heute
Nach der Okkupation (1968) missbraucht das Regime die Oper als Aushängeschild seiner neuen Kulturpolitik. Neben den Metropolen der Ostblockländer gastiert das Opernensemble unter anderem auf Festivals in Wiesbaden, Oviedo, Antwerpen und Wien. Und umgekehrt, vor allem im Rahmen der Bratislavaer Musikfestspiele, treten im Slowakischen Nationaltheater das Bolschoi Teatr aus Moskau, Nationaloper Sophia, Berliner Staatsoper und Komische Oper, und die Opernensembles aus St. Petersburg, Belgrad, Zagreb, Laibach, die Budapester Staatsoper (meistens mit ihren größten Stars). So lernt das Publikum in Bratislava Antantow, Giuselew und Nesterenko, Wischnewska, Dimitrowa, Tomowa-Sintow und weitere Persönlichkeiten kennen. Mirella Freni singt hier eine ihren ersten Tatianas (Eugen Onegin).
In den 1970ern wächst eine neue Generation von Sängern auf, die fähig sind, auf den größten Bühnen der Welt aufzutreten, vor allem der Tenor Peter Dvorský und der Bass Sergej Kopčák. Jahrzehnte davor mussten die herausragenden Absolventinnen der Musikschulen, die im SND ihren Debüt gaben – Lucia Papp und Edita Gruberová – illegal ihre Heimat verlassen ohne Möglichkeit der Rückkehr, um im Ausland ihren Talent zu voll entfalten zu können.
Am deutlichsten werden die Musikeinstudierungen (neben einer älteren Generation von Dirigenten wie Ladislav Holoubek – von Tibor Frešo und Zdenek Košler (in den 1970ern) und Ondrej Lenárd in den 1980ern geprägt . An das Schaffen berühmter tschechischer Regisseure aus den ersten Jahrzehnten nach dem Krieg (Jernek, Kašlík, Wasserbauer) knüpfen vor allem Miroslav Fischer mit seinem temperamentvoll realistischen Handschrift und Branislav Kriška mit seinen deutlicher stilisierten Inszenierungen. Zu Ende des totalitären Regimes erscheint Marian Chudovský mit seinem provokanten und kontroversen Rigoletto und der Schauspielregisseur Jozef Bednárik, der sich dank seiner hinreißenden Vorstellungskraft einen Namen gemacht hat, beginnt Opern zu regieren.
November 1989 bringt nicht nur den Fall des Regimes sondern auch ein für Kultur viel anspruchsvolleres Umwelt. Die Kommerzialisierung traf somit auch die Orientierung der Oper des SND, die dramaturgisch eher zu den bewährten Stücken tendierte. Zu positiven Aspekten dieser Zeit, zu der Juraj Hrubant in der Führung steht, gehören zweifellos weitere Projekte Jozef Bednáriks (Hoffmanns Erzählungen, Don Quijote) und die Krönung der Poppea des Regisseuren Milan Sládek. International präsentiert sich die Oper vor allem am Festival in Edinburgh (1990) und auf Tournee in Paris (1996) und Japan (1997).
Marian Chudovský, der die Oper des SND seit 2002 leitet, zählt zu seinen Prioritäten die Modernisierung und eine größere Vielfältigkeit in der Poetik der Inszenierungen. Anerkannte Regisseure wie Martin Bendik (Herzog Blaubarts Burg, Peter Grimes), Zuzana Gilhuus-Lacková (Alcina) und Martin Huba (The Players) kommen zu Wort. Der berühmte deutsche Regisseur Peter Konwitschny kommt nach Bratislava um seinen legendären Eugen Onegin einstudieren. Im Jahre 2004 findet im Slowakischen Nationaltheater zum ersten Mal das Internationale Musiktheater- Festival statt. Der Opernstar Sergei Larin wird zum Mitglied des Ensemble. Zu Persönlichkeiten, die den Ruf der Oper des SND in der Welt verbreiten, zählen Miroslav Dvorský, Dalibor Jenis, Ľubica Vargicová, Andrea Danková und weitere.
jb, vz